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29.06.2013:
"Sterben ist gar nicht so schlimm!"

Hautnah konnten wir begleiten, wie das Gehen von einer Welt in eine andere verläuft. Meine beste Reisepartnerin hat diese Welt verlassen. Reisepartnerin war nur ein Vorzug, den sie hatte. Der Hauch von Kosmopolitismus, Neugierde auf Neues und am Gegenüber waren die anderen, die ich über zwanzig Jahre an ihr erleben, kennen und schätzen durfte. Inge hatte eine wunderbare Eigenschaft: Sie war in "kritischen" Situationen Pragmatikerin. Sie mischte sich nicht ein, um eine Seite zu befrieden, wenn heiß diskutiert wurde. Ihr Satz "Das ist so!", klärte manch kritische Situation.
Sie konnte schweigen. Lange Zeit hatten wir zugeschaut, wie sie immer dünner wurde. Aber man konnte sie nicht darauf ansprechen. Beim 60er-Fest im Mai saß sie mit am Tisch und hatte mit ihren damals knapp 88 Jahren den größten Teil zu der Gesamtzahl von 558 Jahren beigesteuert, hatte noch am Menü in altbekannter Weise gepickt, war fröhlich im Gespräch dabei. Einen Monat später stürzte sie - Pragmatikerin, die sie war - vor einer Apotheke. Das hört sich lästerlich an, aber dieser Ort war für diese Situation genau richtig. Keine hilflosen Versuche von Passanten, die Apothekerin rief sofort den Rettungswagen.
Darauf, dass Inge die Klinik noch einmal verlassen würde, bauten ihre Kinder und Enkel und Nichten. Alles war bestens organisiert, vom Spezialbett bis zur 24-Stunden-Pflegerin. Doch es kam anders. Drei Tage nach ihrem 88. Geburtstag schlief sie ein. Die Nachricht erhielten wir während eines staatstragenden Moments: die Überführung der Reichsinsignien der Stadt Schwäbisch Gmünd an ihren angestammten Platz. In der mittelalterlichen Zeremonie mit Minnesängern, Walther von der Vogelweide, Reichsapfel und Krone klopfte die moderne Technik an. Eine sms unterrichtete uns im Tal von Inges Tod auf dem Hügel.
Was bleibt? Eine große Lücke! Für die Familie drei mal so lange wie für mich. Es ist eine große Lücke. Es ist ein eingreifendes Moment. Denn uns allen ist klar, was man im Alltag so gerne vergisst. Leben ist endlich und endet immer tödlich. Man weiß nur nicht genau wann! Inge wusste es, denn ihr Satz "Sterben ist gar nicht so schlimm", hatte uns schon zwei Wochen vorher darauf vorbereitet. Kaum einer wollte es wahr haben, denn man bereitete ja ihre Rückkehr vor. Trotz der nüchternen Aussagen des Arztes. Man hoffte - will scheinen -, dass alle positiven Signale, die gesetzt wurden, dazu beitragen würden, das Unabwendliche zu drehen. Was bleibt? Noch ein Satz von Dir, liebe Inge: "Gäbe es mich nicht, dann müsste man mich glatt erfinden!" Wie wahr.