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31.05.2013:
Zwölf Stunden und 20 Minuten rollende Räder

Ein Tag wie gemalt: Blauester Himmel, Sonnenschein, warme Brise, kurze Hosen, T-Shirts … alles perfekt! Aber nur für die, die noch bleiben. Leider gehören wir nicht dazu. Wir haben gepackt, den warmen Anorak angezogen, die Rucksäcke geschultert und sind gen Hafen gerollt … natürlich nur die Trolleys. Der Abschied fällt schwer an solch einem Tag, aber besser als Regen und trübes Grau. Eigentlich wollten wir erst einen Bus später fahren, aber dann stand er noch da, der Bus eins früher. Der Busfahrer lud uns gleich ein, seinen noch leeren Bus zu füllen. Breite Auswahl an Sitzplätzen, auch die Koffer und Rucksäcke konnten wir gut verstauen. Wer hat eigentlich daran gedacht, Trolleys mit Bremsen an den Rollen auszurüsten? Keiner! Spannende Momente, wenn der Bus in die Kurve biegt und alle Vierrädler sich in Bewegung setzen. Trolley-Ballett - wenn kein altmodischer Koffer, wer hat denn noch so was! - alles blockiert. Heitere Szenen im halb vollen Bus, wenn die Jagd nach den rollenden Vierecken beginnt. Ist der Bus voll, sieht man nur schmerzhafte Mienen, wenn eine Trolleykante ans Schienbein kracht.
Aber es war gut, dass wir den frühen Bus nahmen. Er füllte sich mit Menschen, Rucksäcken und Koffern, offenbar hatten noch mehr Leute die Idee, die Sonneninsel zu verlassen, um sich wieder in Grau, Regen und Kälte zurück zu ziehen, sprich: in den Süden zu reisen.
Eine Stunde Zeit am Westerländer Bahnhof. Ein Ort zum Träumen - wenn die Sonne scheint. Wir beschlossen, draußen im Barthekenbereich zu frühstücken. Das hatte was. Der schwärzeste Mann, den die Insel zu bieten hatte, zückte sein elektronisches Bestellsystem im i-phone-Format und notierte. Dann swingte er von dannen, beglückte noch weitere Gäste mit seinem müden, aber unübersehbaren Charme. Die Zeit verstrich langsam, vom Vorrücken des Sekundenzeigers der Bahnhofsuhr begleitet. Jede Menge Schulklassen brandeten an die Bahnsteige, die Lehrer bemüht, Anzahl und Benehmen zu prüfen.
Das Frühstück - einfach überraschend! Liebevoll, farblich exquisit zusammengestellt, mit Obstsalateinlage und Erdbeermarmelade - keine Lieblingssorte, es sei denn, selbst gemacht! - von ausgesprochen gutem Geschmack. Sogar der Kaffee war gut - im Angesicht des IC Wattenmeer, der schon lange vor der Abfahrt auf dem Gleis stand.
Friedlich gestimmt checkten wir unsere Reservierung und suchten unseren Wagen. Überraschung: Auf Wagen 9 folgte ein Wagen ohne Nummer und dann Wagen 11. Unser Wagen, die 10, war nicht da. Bevor wir das ganze Gepäck in den Wagen hievten, schaute ich mir mal die reservierten Plätze im Waggon-ohne-Nummer an. Westerland-Hannover stand da.
Aber wir waren nicht die einzigen, die Wagen 10 gebucht hatten. Die Kontrolleurin sah sich mit vier gleichen Fragen konfrontiert: Wo sind unsere Plätze? Der Wagen fällt aus, lautete die kurze Antwort. Und was ist mit unseren Reservierungen? Schulterzucken. Aber wir ließen sie nicht aus, die Gute. Ich staunte nur, welches Tempo, welch geschmeidige Freundlichkeit, aber unerbittliche Härte die beiden anderen Damen vorlegten. Erfolgreich. Sie wies uns ein Abteil in der Ersten Klasse zu. Allerdings mit dem Hinweis, dass dort alle Plätze besetzt würden angesichts des fehlenden Waggons. Sie versah den Plastikkasten mit sechs feuerroten Zetteln: Belegt bis Endbahnhof - für uns Stuttgart.
Wir hatten es gut. Erstaunlich, wie viel Platz ein Abteil in der Ersten Klasse hat. Sehnsuchtsvolle Blicke auf die noch zwei leeren Plätze erstarben sofort, wenn der Blick auf die Gepäckablage fiel. Die beiden Damen hatten ihre Schrankkoffer mitgebracht.
Dramatischer war der fehlende Wagen für die Lehrerinnen zweier Schulklassen. Eine hatte ihre Schüler sofort in den unbezifferten Waggon gescheucht, die zweite hatte ein Problem. Sie musste die NOB-Bahn nehmen - nicht einfach, denn dort konnte man nicht reservieren - und sie war stark besetzt. Kopfschütteln über die DB, die es schafft, einen voll reservierten Waggon einfach ausfallen zu lassen.
Aber trotz Erster Klasse und anschließender Regionalbahn, die Zeit wurde lang. Traurig stimmte uns, als wir den sonnigen Norden zugunsten eines immer grauer werdenden Weges gen Süden, wo es aus Kübeln schiffte, eintauschen mussten. Irgendwie hatten wir darauf gehofft, den Sylter-Sonnenschein mit uns zu nehmen.