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03.12.2010:
Ich sehe ein, dass ich nicht so lebe, wie ich als Christ leben sollte

Es war ein wunderbarer Tag um die Mittagszeit, als ich Johannes traf. Kennen gelernt hatte ich ihn schon vorher, nicht persönlich, aber dafür per eMail und durch ein Video. Warum ich gerade ihn treffen wollte? Ganz einfach: Johannes hatte mir zwei Seiten seiner Person gezeigt. Als erstes hatte ich eine Video-Sammlung angeschaut, die er mit anderen geschrieben und gefilmt hatte. Das nächste war sein Einsatz im Freien Sozialen Jahr. Sein Motiv: Ich will mich als Christ einbringen. Das hat mich neugierig gemacht und ungeheuer beeindruckt. Als er dann vor mir stand und wir zwei Stunden im Gespräch miteinander verbrachten war ich tief berührt. Ein junger, talentierter wissensdurstiger Mann, voll im Hier und Jetzt eingebunden, mit einem besonderen Antrieb, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Und sich dabei auf die Suche nach sich selbst zu begeben. Aber lesen Sie, was er selbst dazu sagt in seinem Rückblick auf das erste Jahr seines Einsatzes. Übrigens hat er sich entschlossen, seinen Studienbeginn um ein weiteres Jahr zu verschieben: Jetzt, wo die Kinder Vertrauen gefasst haben, möchte ich noch ein weiteres Jahr investieren. Es gibt hier noch so viel zu lernen, was ich woanders nicht lernen kann.
Nun Johannes Bericht
Hat sich etwas verändert?
Als im August 2009 mein FSJ bei der Liebenzeller Mission (LM) begann, wurde ich nach Kanada, genauer Toronto, entsandt. Ich bin also in ein anderes Land mit einer anderen Sprache gezogen, habe neue Leute kennen gelernt, mit ihnen zusammengewohnt, selbstständig einen Haushalt führen müssen und eine neue Arbeit ausführen dürfen. Meine Arbeit bestand darin, für Kinder von fünf bis zehn Jahren aus einem Sozialwohnungsviertel ein Nachmittagsprogramm zu gestalten. Die Kinder und ihre Familien wurden in diese Wohnviertel von der Regierung einquartiert und müssen vieles aushalten. Viele haben keinen Vater, der für sie da ist. Ihre Mütter sind alleinerziehend und wurden von den Vätern im Stich gelassen. Sie haben keine Arbeit und müssen jeden Cent doppelt umdrehen. Drogen und Kriminalität erschweren das Leben in diesen Vierteln zusätzlich. Durch die Arbeit mit diesen Kindern entstand in mir eine große Dankbarkeit für meine eigene Kindheit und dafür wie ich selbst aufwachsen durfte.
Doch was kann ich dort für die Kinder tun? Kann ich etwas verändern?
An den Lebensbedingungen der Kinder sicher nichts! Bei den Hausaufgaben braucht praktisch jedes Kind eine eigene Betreuungsperson. Viele sind sehr weit im Stoff zurück. Dazu hat jedes Kind jeden Tag so viel Schönes, aber auch Schlimmes erlebt, was es mitteilen will. Doch was sage ich einem Mädchen, das den Eindruck hat, ihre Freundinnen schließen sie aus? Was sage ich einem zehnjährigen Jungen, der erfährt, dass sein Vater, den er nur selten gesehen hat, in Jamaica erschossen wurde? Nichts kann ich da sagen. Da bin ich völlig überfordert.
Durch diese Überforderung habe ich gelernt, zu beten. Und in dieser Überforderung durfte ich lernen, dass es auch gar nicht darum geht, etwas zu verändern, sondern dass es darum geht, einfach nur für die Kinder da zu sein. Wo nehme ich denn auch die Arroganz her zu denken, dass ich wirklich weiß, was geändert werden müsste? Was die Kinder am meisten brauchen, ist Aufmerksamkeit und Liebe, Lob und Anerkennung. Oft wünsche ich mir, praktisch helfen und Dinge vorzeigbar ändern zu können. Aber das Einzige, was ich wirklich tun kann, ist Jesus zu erlauben, mich zu benutzen, um diese Kinder zu erreichen und ihnen dadurch Aufmerksamkeit, Liebe, Lob und Anerkennung zu geben. Weil ich Jesus in mir trage, kann Er auf Seine Art durch mich hindurch die Kinder erreichen und in einer Weise an ihnen wirken, die Ihm allein die Ehre bringt.
Und wie ist das in meinem Leben?
Es gibt viele Dinge, die ich in meinem Leben schon lange ändern möchte. Unzählige Male habe ich gute Vorsätze gefasst, und nie habe ich sie eingehalten. Bestimmte Dinge, wie Bibel lesen und Beten, wollte ich mehr tun, und andere Dinge wie Zeit am PC zu verschwenden und vieles andere mehr wollte ich sein lassen. Mit wenig Erfolg.
Meine permanenten Rückschläge habe ich mit der Ausrede gerechtfertigt, dass ich im Vergleich zu anderen ja gar nicht so schlecht abschneide. Ich betrinke mich nicht, ich werde in der Schule für einen sehr anständigen Menschen gehalten, ich tu ja auch viel Gutes und habe gute Absichten. Da kann ich mir das eine oder andere auch erlauben. So dachte ich. Was mir fehlte, so glaube ich, ist in regelmäßiger echter Gemeinschaft mit anderen Christen zu sein.
In der Gemeinschaft, in der ich in Toronto gelebt habe, hat die Ausrede - immerhin bin ich besser als andere - nicht wirklich gegolten, weil ich täglich mit Christen konfrontiert war, die heiliger und kompromissloser leben als ich. Solchen war ich bisher außerhalb meiner Familie nur auf Konferenzen für sehr kurze Zeit begegnet. Außerdem konnte ich aus diesem FSJ nicht einfach so schnell nach Hause zurück in den Alltag fahren. Ich wurde in meinem Alltag in Toronto permanent mit dem Evangelium konfrontiert. Täglich Mitarbeiterandacht. Dienstags Mitarbeitergottesdienst. Donnerstagmorgen Bibelunterricht. Freitagmorgen Männerandacht. Sonntag Gottesdienst.
Es gab kein Entkommen
Der mir von christlichen Konferenzen oder dem Lesen eines guten christlichen Buches bekannte Prozess begann aufs Neue -
Ich sehe ein, dass ich nicht so lebe, wie ich als Christ leben sollte.
Ich will auch wirklich von Herzen anders leben.
Ich nehme mir vor, eine Reihe Dinge mehr zu tun und eine Reihe Dinge weniger oder gar nicht mehr zu tun. Ich scheitere.
Aber ich konnte nicht mehr so schnell in meinen Alltag fliehen und mich selbstgerecht mit Menschen vergleichen, die immerhin noch schlechter leben als ich. Ich wurde erneut frustriert und verstand zum ersten Mal in meinem Leben folgenden Satz aus der Bibel: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. 2. Korinther 12,8
Ich konnte diesen Satz nie verstehen
Ich habe mich selbst im Vergleich zu anderen nie als schwach gesehen und hielt es auch nicht für besonders erstrebenswert, schwach zu sein. Aber durch die absolute Überforderung, im Leben dieser Kinder etwas zu ändern, ja selbst in meinem eigenen Leben etwas zu ändern, hat Gott mich nach und nach dazu gebracht anzuerkennen, dass ich selbst tatsächlich absolut schwach bin und Ihn absolut brauche. Mehr als alles andere.
Ich brauche es täglich neu, mir ehrlich einzugestehen, wie schwach ich bin, umzukehren und es zuzulassen, dass Gott in meiner Schwachheit stark ist. Das passiert für mich in der Gemeinschaft mit anderen Christen, wenn ich Schwäche zugebe und um Hilfe bitte, und es passiert im Gebet, wenn ich meine Schwäche vor Gott eingestehe und Ihn in mein Leben einlade.
Das ist allerdings gar nicht leicht für mich!
Mein Stolz sträubt sich immer wieder dagegen und dann falle ich zurück und bezahle bitter dafür. Die Veränderung ist in meinem Leben noch lange nicht abgeschlossen, aber sie hat begonnen und wird, wenn Gott es so will, weiter gehen - mein ganzes Leben hindurch.